Oberuferer Dreikönigsspiel

Wir sind Papst. Wir sind Kanzlerin. Oder die mutigen Zeichner von Charlie Hebdo. Wir wären es gerne. So bedeutend. So klug. So klar und willens- stark. Wie die Weisen vom Morgenland.

Im Oberuferer Dreikönigsspiel begegnen wir denen zum Anfang des Jahres. Gute Vorsätze können wir ihnen ablauschen. Wir wollen unsere Gedanken rein, klar und vorurteilsfrei entfalten, sie sollen glänzen wie das lautere Gold des Königs Melchert. Unsere Gefühle mögen unseren Seelenraum mit Ordnung und Wohlgeruch erfüllen und zum Himmel aufsteigen, den Zugang zu unserem höheren Selbst öffnen wie der Weihrauch des Walthauser. Unser Willen sei zielgerichtet und entschlossen wie die Myrrhe des Caspar, die desinfizierend wirkt, Störendes zurückdrängt.

Aber wie haben sie das geschafft? Wie haben sie ihre Gedanken geläutert, ihre Gefühle erwärmt und ihren Willen gestärkt? Wie sind sie Weise, Magier, Könige geworden? Das wird kaum gezeigt. Gezeigt in seinem persönlichen Ringen wird ein anderer: Herodes, der Diktator, der den Römern hilft, ihren „pax romanum“ mit harter Hand durchzusetzen – nicht ohne dabei auf seinen eigenen Vorteil zu achten. „Wann ich einmal werd Unmuts voll, so geh ich, und ergetz mich wohl!“ Aber kennen wir das nicht? Dass wir im Leben schließlich eine Stellung einnehmen, in der wir Verantwortung tragen, eine gewisse Vollmacht, sagen wir ruhig: Macht ausüben? Durch die wir dann die Möglichkeit haben, unserem aufsteigenden Unmut durch Zerstreuungen und Unterhaltung, durch „Ergötzen“ zu begegnen? „Heute werden wir Gerichte halten mit den Räten, jungen und alten…“ Herodes ist eine wichtige und geachtete Person und hat sich das mühsam erarbeitet. Und nun kommen diese fremden Sterndeuter und meinen, er müsse sich freuen, weil endlich der richtige König geboren sei. Wer kann ihm raten? Die Schriftgelehrten? Sie bestätigen ihm nur, was er schon weiß und den ausländischen Gästen bereits gesagt hat: Wenn es so ein Kind geben sollte, dann in Bethlehem. Aber dann wäre ja seine Herrschaft „in großer Gefahr, sowie ihr sagt, dieses ist wahr.“ Denn dann würden die Schriftgelehrten ja dem Volk bestätigen, dass hier ein neuer König geboren ist. Dass es sich an den aus idumäischer Familie stammenden Herodes und seinen pax romanum nicht mehr gebunden fühlen muss. Er fürchtet, dass „das Volk möcht weichen auf seine Seit, zuletzt entsteht ein blutiger Streit.“ So sind später auch die Worte des Hauptmanns zu verstehen, der findet, es sei besser, dass ein paar „klein Kinder sterben, als dass wir allesamt mit ihnen verderben“.

Herodes sucht nun Rat bei höheren Mächten, „es sein gleich Geister oder Leut, ich will mich ihnen versprechen gar, und ihnen folgen immerdar!“ Doch es ergeht ihm wie Faust, der den Erdgeist beschwören möchte und in Mephisto nur dem Geist begegnet, den er begreift, da er ein Teil seiner selbst ist („Zwei Seelen wohnen – ach – in meiner Brust…“) Herodes hört in sich die Stimme der unverfälschten, reinen Seele, passend dargestellt durch Maria: „…fürwahr, es wird euch letztlich tun leid…“ Doch er meint, dies sei eine „weibische Unentschlossenheit“, die er sich selbst nicht zugestehen dürfe.

Die Einflüsterungen des Teufels hält er richtiger Weise für eigene Gedanken: „Aber itzt fällt mir ein geschwind, wie ich ertappen möcht das Kind“. Wie schön wäre es dagegen in der Stunde des Todes, die Schuld einfach abschieben zu können: „Das Zeitlich hat mich zu sehr verwirrt, der Teufel hat mich dadurch verführt, ich fahr dahin in Abrahams Garten.“ Wenn es so wäre, dass man die Verantwortung an eine externe „böse Macht“ abgeben könnte, der man eben leider ausgeliefert war, könnte man sich ja tatsächlich persönlich unschuldig fühlen. Auch der Hauptmann versucht das nachher: „Ei, hätt ich mich zuvor bedacht, ich hätt sie gewiss nicht umgebracht.“ Doch weder Herodes noch dem Hauptmann wird es gelingen ihre Verantwortung abzuwälzen.

Und auch darin sind wir ihnen gleich. „Müssen noch mehr hinein in die hellische Pein, nicht du allein“ orakelt der Teufel gegen Ende. Die Verantwortung für unsere Taten und Unterlassungen nimmt uns niemand ab. Es ist ein edles Ziel, den Priesterkönigen nachzustreben. Doch zunächst finden wir uns eher in der Situation des Herodes, der sich in seiner Welt eingerichtet hat und Veränderungen scheut.

Das Dreikönigsspiel mahnt uns, unseren inneren Stimmen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Stimme der reinen Seele (Maria) will erhört werden. Die Stimme des Verderbers will erkannt und entlarvt werden.

Christward Buchholz

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