Der November ist allgemein unbeliebt. Die Heizung muss angestellt werden, Sportplatz und Sandkasten locken nicht mehr und wenn die letzten Kinder 18:00 Uhr im Hort abgeholt werden, ist es schon dunkel! Umso intensiver begegnen sich Schüler, Lehrer und Erzieher aller Klassenstufen im Schulhaus. Diese Begegnung wird am heutigen Samstag durch eine „Monatsfeier“ mit gegenseitigen Vorführungen aus dem Unterricht noch unterstrichen und auch für Eltern und Gäste geöffnet.
Die Abiturabschlussklasse 2010 unserer Schule spendete 120,- € für einen Stolperstein im Gedenken an den von den Nationalsozialisten ermordeten neunjährigen Harald Junker.
Zusammen mit seiner Familie wohnte er bis zu seiner Deportation 1942 in der Magdeburger Tauentzienstraße (heute Liebigstraße). Von 1939-42 besuchte er die Jüdische Schule , bis er und seine Eltern Leopold und Rosa Junker (geborene Katz) zunächst in das Warschauer Ghetto verbracht und schließlich im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurden.
Die Verlegung des Stolpersteins am 22.10. um 10:45 Uhr in der Liebigstraße wurde von Klarinettenmusik unserer Schüler begleitet. Obwohl durch die Schulferien viele verreist waren, hatten sich zahlreiche Schüler, Lehrer und Eltern eingefunden.
Was für die Schüler wie ein zusätzlicher Ferientag wirkt, ist für die Lehrer und Erzieher ein Tag erhöhter Aktivität. Schon vom Donnerstagnachmittag an und auch noch am Samstag treffen sie sich in Halle mit den Kollegen aus Thale und Halle, Thüringen und Sachsen zu einer Regionaltagung.
Das Wechselverhältnis von Angst und Phantasie steht im Mittelpunkt der Vorträge und Seminare. Klar – das eine vertreibt das andere, aber wie bekommt man es wirklich hin, dass unsere Schüler nicht nur angstfrei leben, sondern eben wirklich „angstfrei lernen“?
Nein, ich bin nicht der Abgesandte der italienischen Mafia. Die Waldorfschule in Magdeburg hat mich gebeten, ein Pate zu sein, nicht um im Dunkeln zu munkeln, sondern um zu helfen, Licht in den Köpfen zu verbreiten.
Die Schülerin Julia Lauenroth und ihr Trupp hatten sich 2009 vorgenommen, für ihre Schule den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu erringen. Sie haben mit Unterstützung von ihrer Lehrerin Frau Woitaske die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Titelverleihung durch die Landeszentrale für politische Bildung erfolgen konnte. Die Suche eines Paten gehörte dazu. Das bin ich: Hans-Jochen Tschiche, Theologe und seit 1990 Politiker.
Trotz meiner 80 Jahre bin ich gern dem Ruf gefolgt. Ich hab mich riesig gefreut, dass meine Enkel- und Urenkel-Generation dem Rassismus an ihrer Schule keinen Raum geben wollen. Er ist eine der Hauptsäulen rechtsextremer Ideologie von heute. Ich habe selbst die 12 Jahre des nationalsozialistischen Reiches erlebt. Damals überzog es ganz Europa mit Krieg.
In seinem Namen geschah eine Orgie der Unmenschlichkeit. Die Nazis haben Europa in eine Trümmerwüste verwandelt. Und sie haben Juden, Sinti und Roma, Polen und Russen zu Opfern ihres rassistischen Wahns gemacht. Am Ende des Krieges, 1945, war ich 16 Jahre alt. Da habe ich mir geschworen: So lange Du lebst, Tschiche, wirst Du alles tun, damit die braune Pest nicht noch einmal in meinem Land ausbricht.
Deshalb stand ich am 7. November 2009 auf dem Podium der Magdeburger Waldorfschule als Pate, um zu versichern, dass ich diese Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage begleiten werde. Am Vormittag fand der Elterntag statt, der von den Kindern festlich gestaltet wurde. Nach dem Essen begann die Verleihung des Titels und die Übergabe eines Schildes, das an einer sichtbaren Stelle angebracht werden soll.
So soll den Besucherinnen und Besuchern verkündet werden, hier ist eine Schule, an der die Neonazis keine Chance haben. Zum Schluss stiegen viele bunte Luftballons auf. Bunt statt braun, das ist die Waldorfschule in Magdeburg.
Hans-Jochen Tschiche, Autor, Theologe und Politiker
Die Freie Waldorfschule in Magdeburg wird 20 Jahre alt. Das ist ein Grund zum Feiern. Ich werde dabei sein und gratuliere herzlich. Im Gründungsjahr 1990 verabschiedete sich die DDR aus der Geschichte. Davor hatten wir kurze Zeit das Gefühl, Herr im eigenen Haus zu sein. Zu DDR-Zeiten waren die Schulen Teil eines Systems, das sie der ideologischen Dauerbestrahlung aussetzte. Klaglose Anpassung wurde von der Schülerschaft verlangt. Autoritär waren die pädagogischen Methoden. Die Lehrenden sendeten und die Lernenden empfingen.
Oben wurde gelehrt und unten gelernt. Preußische Tugenden feierten fröhliche Urständ, obwohl Preußen eigentlich als Paradebeispiel eines reaktionären Staatswesens galt. Fleiß, Ordnung, Sauberkeit und Disziplin standen hoch im Kurs. Die Kinder und Jugendlichen waren Objekte der Bildungs- und Erziehungsbemühungen. Die Eltern spielten in diesem Stück die Erfüllungsgehilfen der Drillgemeinschaft.
Richtig, es gab immer Ausnahmen - auch zu DDR-Zeiten, aber die Regel waren sie nicht. Mein Traum war dagegen eine Schule, in der die Schülerinnen und Schüler Partner der Lehrerschaft und der Eltern sind. Eine Schule, in der die Kreativität der Schüler gefördert, eine selbstbewusste Beteiligung und Einmischung im Unterricht möglich ist, sollte entstehen.
Eine Pädagogik der Zuwendung, der Behütung der Schwachen, der Entfaltung eigener Phantasie und die Ermutigung zum selbstbestimmten Handeln – das wäre eine Schule, in der man gut leben könnte. In der Waldorfschule verwirklichen sich viele meiner Hoffnungen. Deshalb war es kein Wunder, dass das Neue Forum, dessen Gründungsmitglied ich bin, an der Entstehung dieser Schule 1990 beteiligt war. Ich muss gestehen, dass ich an diese gute Tat meiner Freundinnen und Freunde keine Erinnerung mehr habe. Ich war in der Zeit in der Volkskammer und niemand hat mir etwas erzählt. Heute bin ich unglaublich froh, dass die Gründung gelang und bin stolz, das eine solche Schule meiner Träume mich zum Paten ihres Projektes "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" gemacht, mich zum Festredner am 17.09.2010 bestimmt und zum Fest ihres 20jährigen Bestehens eingeladen hat. Ich wünsche uns allen eine gelungene Veranstaltung.
Hans-Jochen Tschiche, Autor, Theologe